Gedenkfeier 2016

zum 71. Jahrestag der Befreiung des Nebenlagers Gunskirchen

Der Baum als starkes Symbol für Kraft, als Zeichen der Beständigkeit stand heuer im Mittelpunkt der Feier. Eine hängende Zierkirsche wurde neben dem Denkmal an der B1 gepflanzt, die, wie wir hoffen, um die Zeit der jährlichen Gedenkfeier zartrosa blühen wird.

 

Schülerinnen führten einen Bändertanz auf mit dem Wunsch "Hevenu Shalom Alechem" ("Wir wünschen Frieden euch allen"). Die musikalischen Darbietungen fanden großen Beifall.

 

Die Begegnung mit Jehuda Bacon am Vortag der Gedenkfeier hatte uns alle sehr beeindruckt und uns auf das Gedenken eingestimmt, ebenso wie die Auseinandersetzung mit dem Thema Holocaust, die der Feier alljährlich vorausgeht. Einige Schüler lasen vor, welche Gedanken und Gefühle ihnen nach dem Besuch der Gedenkstätte Mauthausen durch Kopf und Herz gegangen waren.

 

Redner der diesjährigen Gedenkfeier

Daniel Chanoch

Überlebender, Zeitzeuge

mit unserer Schule in Verbindung

seit der Gedenkfeier 1995

(50. Jahrestag der Befreiung)

Dr. Christine Haiden

österreichische Autorin und Journalistin

langjährige Chefredakteurin der Zeitschrift

"Welt der Frau" und

Präsidentin des OÖ. Presseclubs



 

Wir gedachten auch Ernö Lazarovits´, der seit Jahrzehnten jedes Jahr für die ungarischen Überlebenden gesprochen hatte und leider voriges Jahr gestorben ist.

 

Als kleine Erinnerung bekamen die Besucher ein paar Sonnenblumensamen zum Geschenk, gemeinsam mit Gedanken zum Symbol Baum. Wir hoffen, dass sie gut gedeihen und allen viel Freude bringen werden.

 

Rede Dr. Christine Haiden

Als Hauptrednerin konnte heuer Dr. Christine Haiden gewonnen werden.

Hier ihre Rede zum Nachlesen:

Sehr geehrter Herr Chanoch, Herr Frisch, geschätzter Herr Bürgermeister, liebe Festgäste!

 

Selten hat mich eine Rede mehr geplagt als diese. Denn was kann man 71 Jahre nach der Befreiung des KZ-Nebenlagers Gunskirchen sagen, das nicht schon gesagt wurde, was ist überhaupt zu sagen, wenn ein Zeitzeuge wie Daniel Chanoch selbst erzählen kann, was war? Dann habe ich vergangene Woche im Radio eine Sendung über ein anderes Außenlager des KZ Mauthausens am Loibl-Pass in Kärnten gehört. Es hat mich wieder aufs Neue verstört, was ich über die Verbrechen an den Häftlingen und Zwangsarbeitern gehört habe. Es war aber ebenso irritierend, wie viel Widerstand engagierte Historiker und Lehrerinnen und Lehrer noch immer ernten, wenn sie diese Orte der Erinnerung beforschen und den nächsten Generationen nahe bringen.

 

Offenkundig reicht es nicht, dass alles schon gesagt wurde, man muss es immer wieder sagen.

 

Wir erleben in Österreich gerade einen Wahlkampf um das Amt des Bundespräsidenten, der Menschen polarisiert. Es kommt vor, dass Menschen einander deswegen anschreien oder sogar zu raufen beginnen, wie kürzlich aus Salzburg berichtet. Vor allem, wenn es um den Kandidaten der FPÖ geht, gehen die Wogen hoch. Mein Patenkind Simon, er hat seinen Gedenkdienst in Yad Vashem geleistet, geht mit Norbert Hofer ganz scharf ins Gericht. Aber auch mit Alexander Van der Bellen. Er meint, Van der Bellen müsse seinen Wahlkampf klar darauf fokussieren, dass man mit Hofer die Fortsetzung des Faschismus in Österreich wählt. Man müsse sagen, was ist. Ich plage mich mit dieser Position. Ich möchte nicht, dass alle Wählerinnen und Wähler sich durch den Faschismus-Vorwurf unter Generalverdacht gesetzt werden. Es gibt in Österreich nach wie vor keine schwerwiegendere politische Verurteilung als die  ein Faschist oder Neo-Nationalsozialist zu sein. Und das zu Recht. Aber sollen wir diese Verurteilung auf alle anwenden, die Hofer wählen? Hilft es tatsächlich ihnen mit dieser Zuschreibung die Augen zu öffnen oder genügen wir uns nicht vielmehr selbst, weil wir es einfach meinen, sagen zum müssen?

 

Viele fühlen sich durch die Entwicklungen in Europa an die Zwischenkriegszeit und den heraufziehenden Nationalsozialismus erinnert. Das macht Angst. Wiederholt sich die Geschichte, wenn wir nicht achtsam genug sind, wenn wir nicht klar verurteilen, was auch nur ansatzweise die Taten dieser Zeit beschönigt, verkleinert, ausblendet?

 

Vor vielen Jahren habe ich ein Gespräch mit Alice Herz Sommer geführt. Sie war damals schon 103 Jahre alt, eine deutsche Jüdin aus Prag, die mit ihrem Sohn das KZ Theresienstadt überlebt hat. Ihr Mann und ein Großteil ihrer Familie kamen um. Sie sagte im Gespräch, dass ihrer Einschätzung nach ein Hitler immer wieder und überall auf der Welt möglich sei. Das liege am Hass, zu dem wir fähig sind. Das liege an unserer Lebensangst, die uns mitgegeben ist. Das liege darin, dass wir alle zu fünfzig Prozent gut und zu fünfzig Prozent schlecht seien. Mit unseren guten Seiten umzugehen, sei nicht schwer. Die Kunst bestehe darin, mit unseren schlechten Seiten, unseren Ängste, unseren Möglichkeit zu hassen, zu quälen, zu töten, zurecht zu kommen. Sie sind in uns. Und sie können offenbar leichter als uns lieb ist, angesprochen und ausgelöst werden. Und wenn es dann noch jemand gibt, der das legitimiert, sind die Dämme schneller gebrochen als wir, wenn wir uns in unseren guten Seiten sicher gebettet fühlen, wahrhaben wollen. Alice Herz Sommer hat mich  mit dieser Sicht einer, die unter den schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit gelitten hat, überrascht. Seither bedenke ich sie, ohne zu einer abschließenden Einschätzung zu kommen. Denn es heißt, dass es nicht reicht, verbal gegen jene anzugehen, die ihre schlechten Seiten offenkundig noch weniger im Griff haben als wir, es heißt, uns selbst nicht ganz über den Weg zu trauen, solange wir nicht eingestehen, dass die dunklen Seiten der anderen, die wir bekämpfen, auch in uns selbst sind. Das ist und bleibt unheimlich.

 

Wenn es Sinn macht, auch 71 Jahre nach der Befreiung der Menschen aus dem KZ Gunskirchen zu gedenken, dann besonders deshalb, weil wir nicht vergessen dürfen, wozu wir fähig sind. Wir sage ich hier als Österreicherin. Es waren Österreicherinnen und Österreicher – neben Deutschen - die gequält, gefoltert, getötet haben, und es waren Österreicherinnen und Österreicher, aber auch Menschen quer durch alle Nationalitäten Europas, die gequält, gefoltert und getötet wurden.

 

Wir erinnern uns daran, dass vor der versuchten Auslöschung immer die systematische Ausgrenzung steht. Wir müssen uns fragen, wen das heute hier in Österreich, in Europa trifft. Neben dem Antisemitismus, der im Untergrund nach wie vor besteht, dürfen wir dem Antiislamismus keinerlei Vorschub leisten.

 

Wir müssen uns aber auch jenen verpflichtet fühlen, die heute irgendwo auf der Welt aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihrer Ethnie, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung ausgegrenzt, unterdrückt, verfolgt und sogar getötet werden. Die abertausenden Frauen und Mädchen, die von den Kämpfern des IS, der Boko Haram oder ähnlicher paramilitärischer Einheiten als Sex-Sklavinnen gehalten werden, sind nur eine Gruppe, an deren Schicksal ich heute denken möchte.

 

Viele Menschen wollen heute über den Faschismus nichts mehr hören. Das war gestern, sagen sie. Stimmt. Aber was bleibt zu sagen? Dass wir damals, vor mehr als 70 Jahren in die wirklich großen Abgründe des Menschseins geblickt haben. Dass wir die Erinnerung brauchen, um ehrlich sein zu können über unsere eigene Natur. Dass wir die Erinnerung aber auch brauchen, um zu erkennen, wenn in anderen die dunkle Seite überhandnimmt. Hass, Gewalt, Grausamkeit, Mord sind möglich. Aber wir sind nicht dazu verdammt. Deshalb erinnern wir uns heute.

 

Wenn wir in wenigen Tagen einen neuen Bundespräsidenten wählen, sollten wir genau schauen, konkret hinterfragen, wir sollten Fakten auf den Tisch legen, wir müssen für unsere Überzeugungen eintreten. Aber ich bin überzeugt, dass wir es ohne Hass tun müssen. Gerade wenn wir diesen Hass in uns spüren, sollten wir den Blick auch auf uns selbst lenken. Arno Gruen, der Schweizer Psychotherapeut, hat sich intensiv mit dem Fremden in uns beschäftigt. Seine Diagnose lautet, sehr vereinfacht, dass alles, was die autonome Entwicklung eines Menschen durch Gehorsam, Gewalt und Autorität bricht, der Nährboden für Gewalt an anderen ist. Wer sich, simpel gesagt, nicht spürt, spürt auch nicht, was er anderen antut. Deswegen müssen wir vermutlich gar nicht den Faschismus bemühen, um politische Strömungen und ihre Vertreter kritisch zu bewerten. Es reicht, wenn sie im Kern autoritär denken und handeln und anderen nicht den Funken einer Chance geben, mit ihrer Meinung auch ein wichtiger Teil der Wirklichkeit zu sein.

 

Über die Ereignisse vor 71 Jahren ist viel gesagt, ganz bestimmt nicht alles. Es gibt noch immer Menschen, die beispielsweise im KZ Außenlager Floridsdorf ermordet wurden, und die noch immer keinen Gedenkort haben. Wie es unsere Verpflichtung ist, über das Gestern zu reden, ist es viel mehr noch ein Gebot der Stunde die Gegenwart kritisch zu sehen und zu benennen, differenziert, aber ohne Abwertung der Personen und ohne Hass.

 

Ich neige mich in Respekt vor den Opfern.

 

Rede von Dr. Christine Haiden
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